Der Bau der evangelischen Martin-Luther-Kirche
Von Reinhard H. Seitz
Evangelische Mitbürger hatte es in Vöhringen seit dem Aufkauf der Mahlmühle Hs.Nr. 10 durch Johann Georg Krauß, also seit 1860 gegeben. Krauß stammte aus Ulm und war Protestant. Als er in Vöhringen wohnte und hier der Messing- und Maschinenfabrikation nachging, haben zwei Töchter von ihm (?) zeitweise bei ihm gewohnt. Die eine, Mathilda Krauß, war mit dem Ulmer Geschäftsmann Johann Leonhard Fries (Frieß) verheiratet und bekam hier zwei Kinder: Karl (* 21.9.1863) und Laura Mathilde (* 1.12.1865), die andere, Laura Krauß, war mit dem Fellbacher Geschäftsmann Hermann Otto Fritz verheiratet und bekam hier ebenfalls eine Tochter: Julie Karolina (* 21.12.1863). Die Taufe dieser Kinder fand zu Hause, also im Mühlanwesen Hs.Nr. 10 statt (Karl Fries, ~ 19.10.1863) bzw. im Schulhaus (Laura Mathilde Frieß, ~ 31.12.1865 und Julie Karolina Fritz, ~ 31.12.1863). Das sind also die ersten gesicherten Nachweise für Protestanten in Vöhringen, übrigens überliefert durch die Matrikel der damals in Vöhringen in Sachen Personenstandsbeurkundungen allein und ausschließlich zuständigen Stelle, nämlich des Katholischen Pfarramts Vöhringen (Standesämter gibt es in Bayern erst seit dem 1. Januar 1876).
Durch den Übergang der kleinen Maschinenfabrik auf den gleichfalls protestantischen Ulmer Philipp Jakob Wieland und durch deren Ausbau zu einer Messingfabrik (1864) ließen sich in Vöhringen nach und nach Protestanten auch für dauernd nieder. Einer der ersten war der Fabrikarbeiter Wilhelm Häger, der sich hier 1864 ansässig machte. Die Familie Wieland als Fabrikinhaber sorgte sich deutlich auch für die Belange ihrer in Vöhringen ansässigen evangelischen Fabrikarbeiter. Wir sahen dies bei den Vorverhandlungen zum Neubau der katholischen Pfarrkirche St. Michael, als z.B. 1913 von Kommerzienrat Wieland der Gedanke ins Spiel gebracht wurde, die alte Pfarrkirche der politischen Gemeinde Vöhringen zu überlassen, damit diese sie dann wiederum an die Vöhringer evangelische Gemeinde als deren Kirche überlassen könnte. Damals (Zahlen von 1910) gab es in Vöhringen (gegenüber 2.170 Katholiken) 178 Protestanten, die in einem Protestantischen Diasporaverein zusammengeschlossen waren, dem wir bereits bei der Einweihung des Neuen Friedhofs im Jahre 1908 begegnet sind. Die bis 1894 von Holzschwang und dann von Neu-Ulm aus betreuten Protestanten konnten ab 1898 im Kantinensaal der Wieland-Werke ihre Gottesdienste abhalten. Ab 1910 wurde Vöhringen vom Pfarrvikar in Illertissen aus betreut, das 1921 zur Pfarrstelle erhoben wurde. 1929 bildete sich eine Tochtergemeinde für Vöhringen und Bellenberg, welche in diesem Jahr ein Grundstück im südlichen Ortsbereich für den Bau einer neuen Kirche erwarb.
Die Planung für die neue Kirche übernahm das Architekturbüro K. Rudolf Motz in Stuttgart, das [108] im benachbarten Memmingen ein Zweigbüro hatte und so wahrscheinlich zu dem Auftrag gekommen ist. Die ersten Pläne vom November 1932 zeigen bereits in großen Zügen die Kirche, so wie sie später gebaut wurde, jedoch an der Außenwand mit oben schräg zulaufenden Stützpfeilern, wofür man im Baukunstausschuss bei der Ministerialabteilung des Staatsministeriums des Innern aber lieber gerade Wandpfeiler mit schräger Abdachung gesehen hätte. In der endgültigen Planung vom 30. Juni / 1. Juli 1933 sind diese Wandpfeiler (drei je Längswand) nach innen genommen, mit Kragsteinen, auf denen das von Anfang an geplante Zollbaugewölbe des Langhauses ruht. Die Kirche ist völlig unspektakulär im neuen sachlichen Stil gebaut als verputzter Satteldachbau (vier Fensterachsen) mit Eingangstor in der Westwand, rechteckig eingezogenem Chor und einem quadratischen Turm (mit Zeltdach) auf der Südseite im Zwickel neben dem Chor. Die Pläne wurden am 15. September 1933 in schönheitlicher Beziehung durch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus genehmigt, staatsaufsichtlich am 30. September 1933 durch die Regierung von Schwaben und Neuburg und baupolizeilich am 4. Oktober 1933 durch das Bezirksamt Illertissen. Baubeginn war der 4. Oktober 1933, die Bauarbeiten übernahmen Mathias Sirch in Vöhringen und die Zimmerleute Möst in Illertissen und Birnbrügl in Vöhringen. Mitte Juni 1934 stand der Rohbau, die vorläufige Einweihung war für den 15. Juli 1934 vorgesehen. Im Juni 1934 legte Motz die Pläne für die Innengestaltung vor: in Anlehnung an die Klinker der Wandpfeiler sollten Altar und Taufstein gleichfalls in Klinker bzw. Klinkerplatten gestaltet sein, die Kanzel verputzt auf einem Klinkersockel sitzen. Die Bestuhlung wurde aus der Martinskirche in Memmingen übernommen. Die Genehmigung dazu erfolgte nachträglich am 28. August 1935 durch die Regierung von Schwaben und Neuburg.
Quelle: Reinhard H. Seitz, Vöhringen: Bilder und Miniaturen einer jungen Stadt, Weißenhorn: Anton H. Konrad Verlag, 2002, Seiten 107-108.