1. Die Einweihung gottesdienstlicher Gebäude oder Gegenstände
Schon das Alte Testament kennt eine „Heiligung“ oder „Weihe“ bestimmter Personen und Sachen, die fortan dem profanen Gebrauch entzogen und für den Gottesdienst ausgesondert sein sollen. Dahinter steht der Gedanke der „Zueignung“ (dedicatio), dass der oder das Geweihte ganz und gar dem „Gottesdienst“ hingegeben sein soll (1. Sam. 1, 28; 2. Mose 29, 36-37).
Der Begriff „heilig“ oder „geweiht“ bedeutet einfach die Aussonderung für Gott und die ausschließliche Zugehörigkeit zu Gott (vgl. 3. Mose 20, 23-26). Für den „geheiligten“ Menschen folgt aus diesem Tatbestand die sittliche Verpflichtung der „Heiligung“. Die Gemeinde Christi ist im Neuen Testament die Gemeinde der „Heiligen“ und „Auserwählten“, die durch ihre Taufe allesamt zu „Priestern“ und zum Kampf der Heiligung berufen sind (1. Petr. 2, 10; 1. Kor. 1, 2; 1. Thess. 4, 3).
In der mittelalterlichen Kirche wurde die Weihe von Sachen entwickelt. Demzufolge verleiht die meist mit Weihwasser vollzogene Segnung der geweihten Sache einen sakralen Charakter, so dass durch die Weihe nicht nur die Bestimmung, sondern auch die Beschaffenheit dieser Sache verändert wird. Gegen dieses dingliche und als magisch empfundene Weiheverständnis ist Martin Luther mit großer Entschiedenheit aufgetreten (Schmalkaldische Artikel, Teil 3, Art. 15). In den evangelischen Kirchenordnungen wurden ausdrücklich alle derartigen Beschwörungen, Segnungen und Weihungen verworfen. Luther hat es aber für durchaus angemessen gehalten, dass liturgische Gebäude oder Geräte unter Wort Gottes und Gebet in Gebrauch genommen werden. Von den geistlichen Gewändern sagt er beispielsweise: „Ich wollt auch gerne, dass man sie weder weihet noch segnet, als sollten sie hinfort heiliger sein denn andere Kleider; es wäre denn, dass man ein gemeinen Segen brauchen wollt, dadurch mit Wort und Gebet, wie die Schrift lehret (1. Timoth. 4) alle gute Gottes Kreatur geheiligt wird, sonst ist’s ein lauter Aberglaube und gottlos Wesen.“
Nach evangelischem Verständnis ist also eine Weihe nur sinnvoll, wenn sie im Zusammenhang mit einem gottesdienstlichen Gebrauch steht. Dabei muss die Bezeichnung „Weihe“ gemäß ihrem ursprünglichen Sinn als „Zueignung zum gottesdienstlichen Gebrauch“ verstanden werden. Durch die Weihe entsteht jedenfalls keine dingliche Veränderung.
2. Die Einweihung sonstiger Baulichkeiten
Bei der Einweihung sonstiger Baulichkeiten, z. B. bei der Einweihung eines Gemeindehauses ohne gottesdienstliche Funktion, eines Wohnhauses, eines Schulhauses oder einer Bildungseinrichtung, einer Kindertagesstätte, eines Altenwohnheims, eines Krankenhauses, kann es sich nicht um eine gottesdienstliche Zueignung handeln. Von 1. Tim. 4, 4 her rechtfertigt Luther aber, dass man „Gottes Wort, Segen und Gebet über die Kreatur spräche, wie die Kinder über Tische tun, und über sich selbst, wenn sie schlafengehen oder aufstehen“, unter der Voraussetzung, dass damit die Kreatur nicht „neue Kraft und Macht“ erhält. So wie in den Tischgebeten für Gottes Gaben gedankt und darum gebeten wird, dass Gott diese Gaben und die, die sie empfangen, segnen möge, so kann alles, was im weiteren Sinn zum „täglichen Brot“ gehört, in solches Beten eingeschlossen werden. Voraussetzung dafür ist, dass diese Gaben nicht an sich gesegnet werden (Realbenediktion), sondern dass sie immer im Zusammenhang mit denen gesehen werden, die sich ihrer gläubig als Gottes guter Gabe bedienen. Sofern sich „Weihehandlungen“ auf Gegenstände richten, kann der fürbittende Segen nie von den Menschen abgelöst werden, die mit diesen Gegenständen umgehen.
Die evangelische Kirche wird bei „Weihehandlungen“ mit besonderer Behutsamkeit zu Werke gehen müssen. Sie kann beispielsweise keine Fahne weihen. Sie wird jedoch dort zur Stelle sein, wo ihr Dienst der Segnung aus geistlichen Motiven heraus erbeten wird.
3. Die Form der Einweihung
Alle Einweihungshandlungen sind in gleichartiger Weise aufgebaut: Gruß und Einleitung — Ansprache — Schriftlesung — Vaterunser und Gebet — Friedensgruß.
Die Einleitung
In der Einleitung muss zum Ausdruck kommen, worum es in der folgenden Weihehandlung geht. Dabei legt sich die Bezugnahme auf 1. Tim. 4, 5 nahe.
Die Lesung
Die Schriftlesungen sind den Anlässen entsprechend ausgewählt.
Das Gebet
Als das eigentliche Weihegebet hat Luther das Vaterunser eingeführt. Jeder Einweihungshandlung sind nun auch spezielle Gebete beigegeben, die nach folgendem Muster gestaltet sind: „Auf den Dank für die glückliche Vollendung des Baues folgt die Bitte um Bewahrung und Schutz für die, die die Baulichkeit benutzen (z. B. eine Brücke) oder in ihr arbeiten (z. B. Rathaus, andere öffentliche Gebäude und dergl.). Daran schließt sich die Bitte, dass das Gebäude allezeit zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Menschen gebraucht werden möge“ (Agende IV).
Die Vollzugsformel
Sie kann nur dann das Wort „weihen“ enthalten, wenn es sich um Aussonderung zum gottesdienstlichen Gebrauch handelt. Sie bringt nichts Neues zu dem in Lesung und Gebet sich ereignenden Vorgang der Segnung hinzu. Eine direkte Anrede des Gebäudes oder des Gegenstandes „Ich weihe dich …“ ist daher nicht möglich.
Bei der Weihe eines Friedhofs und einer Friedhofskapelle, die auch von nichtchristlichen Religionsgemeinschaften benützt werden, und bei der Einweihung sonstiger Baulichkeiten oder Anlagen, lautet die Vollzugsformel: „Nachdem wir Gottes Wort gehört und zu ihm gebetet haben, befehlen wir dies … (der Gnade bzw.) dem Schutz unseres Gottes (er segne alle, die hier ein- und ausgehen). Das Wort „weihen“ oder „einweihen“ ist hierbei zu vermeiden.
Der Abschluss
Die Weihehandlung sollte mit einem passenden Lied abgeschlossen werden, mit dem auch die Gemeinde sich die Bitte um Segen und den Dank für alle gnädige Führung und Bewahrung zu eigen macht.
Nach Friedrich Kalb, Grundriss der Liturgik. Eine Einführung in die Geschichte, Grundsätze und Ordnungen des lutherischen Gottesdienstes, München: Evangelischer Presseverband für Bayern, 3. A., 1985, 323-328 (gekürzt).