Cornelias Mittwochsbrief aus Kenia, 12. November 2025

Mittwoch, 12. November 2025

„Wenn ihr aber nach dem Ansehen der Person urteilt, dann begeht ihr eine Sünde und werdet überführt vom Gesetz als seine Übertreter.“ Jakobus 2, 9

Letztes Wochenende hatten wir ein großes Fest im Kinderheim hier in Tinderet. Die ca. 10 Gemeinden unserer Kirchenregion kamen, um unsere Kinder zu besuchen und zu beschenken. Gute 1.000 Leute waren auf unserem Fußballfeld versammelt, wir sangen, tanzten, hörten Gottes Wort und dankten ihm für sein Versorgen durch das letzte Jahr.
Es gab 10 große Zelte, eins davon hatte rote Teppiche ausgelegt und Hussen über den Stühlen. Dort saßen die geladenen Gäste, Pastoren und alle, die sich wichtig genug fühlten. Nach dem Gottesdienst gab es Mittagessen. Für die geladenen Gäste, Pastoren und alle, die sich wichtig genug fühlten, war im Speisesaal des Kinderheims dekoriert und eingedeckt, mit Tischdecken, Hussen über den Stühlen, Deko überall und vielfältigem Essen. Alle anderen Gäste wurden unten auf dem Feld bedient, sie verteilten sich auf die verschiedenen Stühle in den Zelten und hatten die Teller auf dem Schoß.
Ich bin jetzt ja schon eine Weile hier, gell, aber es stört mich immer noch. Die Spezialbehandlung von bestimmten Leuten, die „wichtig“ sind, die Einfluss haben, von denen man evtl. etwas erwarten kann, eben vor allem Kirchenleute und Politiker.
Der Witz ist, außer uns Deutschen stört das hier niemand. Alle finden es toll, wenn der Bischof kommt, unser Landtagsabgeordneter oder verschiedene Minister. Alle freuen sich, wenn diese Gäste besonders behandelt werden, auch wenn sie selber in langen Schlangen vor der Essensausgabe stehen. Sie wären sehr entrüstet und enttäuscht, wenn der Bischof plötzlich auch in der Reihe vor dem Essen stehen würde.
Ein anderer Aspekt dieser ausgeprägten Gastfreundschaft ist auch, dass niemand ohne Essen gehen muss. Jede und jeder bekommt etwas, solange der Vorrat reicht. Manchmal sieht man tatsächlich etwas seltsame Gestalten mitten zwischen den „wichtigen“ Leuten sitzen, sie scheren sich nicht um sozialen Status, sie brauchen nur mal eine richtige Mahlzeit. Und niemand schickt sie weg, alle rücken etwas zusammen, damit noch ein Platz mehr entsteht.

Worauf will ich also hinaus, was schließe ich aus dem Ganzen? Ich hab keine Ahnung!
Vielleicht muss ich aber auch gar nicht die Gesellschaft hier ändern. Vielleicht dient mir das Ganze nur als Warnung für meinen eigenen Umgang mit meinen Mitmenschen; sie wertzuschätzen, egal ob ich mir etwas von ihnen erwarte, oder nicht. Bedürftige nicht abzuweisen, sondern ihnen mit Freundlichkeit und Barmherzigkeit zu begegnen. Führungspersönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft mit Respekt zu behandeln, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, wer sie eingesetzt hat (vgl. 1. Petrus 2, 13). Und bei allem Gott die Ehre zu geben, für den jeder einzelne Mensch wertvoll und wichtig ist.

Cornelia Letting

Himmlischer Vater, manchmal ist die Grenze zwischen richtig und falsch nicht so leicht zu erkennen, ist der Übergang von Gastfreundschaft und Spezialbehandlung eher fließend. Hilf mir bitte, nicht andere zu verurteilen, sondern mein eigenes Verhalten zu überprüfen. Auch Du behandelst Menschen nicht alle gleich, sondern jeden so, wie er oder sie es braucht. Mit Deiner Hilfe will ich Deinem Beispiel folgen – Amen.

Seit 2008 lebt unser Vöhringer Gemeindeglied Cornelia Letting (geborene Halle) auf der Station Tinderet im westlichen Hochland Kenias, die vom Missionswerk DIGUNA („Die Gute Nachricht für Afrika“) unterhalten wird. So haben Cornelias biblische Besinnungen einen besonderen Erfahrungshintergrund.

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Veröffentlicht in Region Iller-Roth, Tagesimpulse.