Samstag, 12. Juni
„Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?“ (Lukas 6, 41)
Manche Dinge sehen wir zum ersten Mal, obwohl wir schon zigmal daran vorbeigekommen sind.
Stand da schon immer dieses Schild mit der Geschwindigkeitsbeschränkung am Straßenrand?
War der Zaun des Nachbarn schon immer blau gestrichen?
Es handelt sich dabei um das Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Wir schützen uns im Alltag ein Stück weit vor einer Reizüberflutung, indem unser Gehirn scheinbar unwichtige Dinge ausblendet. So übersehen wir Dinge, die für Andere selbstverständlich sind.
Schwierig wird es, wenn die selektive Wahrnehmung Formen annimmt, wie sie Jesus in seinem anschaulichen Beispiel im heutigen Lehrtext beschreibt. Dann führt selektive Wahrnehmung dazu, dass ich bestimmte Dinge oder Zustände letztlich gar nicht mehr sehen will. Weil sie nicht in mein Weltbild passen, meiner vorgefassten Meinung widersprechen. Vielleicht auch, weil sie mein Selbstverständnis in Frage stellen.
Die Jahreslosung für 2021 steht wenige Verse vor obiger Aussage Jesu:
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lukas 6, 36)
Jesus kennt unsere Schwächen. Auch unsere selektive Wahrnehmung. So nehmen wir jeden kleinen Fehler unserer Mitmenschen akribisch wahr. Und können – oder wollen – unsere eigenen Fehler, die vielleicht sehr viel schwerwiegend sind, nicht erkennen. Richten über unseren Nächsten und bemerken nicht, dass wir damit uns selbst ein Urteil sprechen. Sitzen im Glashaus und werfen mit Steinen.
Jesus ermahnt uns als seine Nachfolger, dass wir barmherzig mit einander umgehen. Dass wir zuerst vor der eigenen Haustüre kehren, bevor wir unserem Nächsten den Splitter aus seinem Auge ziehen.
Jesus drückt das ganz klar aus, als die religiösen Führer eine Ehebrecherin zu ihm bringen und nach seinem Urteil fragen. Er heißt das Verhalten der Ehebrecherin nicht gut. Aber er hält den religiösen Führern den Spiegel vor, in dem er zu ihnen sagt:
„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ (Joh. 8, 7)
Daraufhin haben sich alle verdrückt. Keiner hat den Stein, den er bereits in seiner Hand hielt, geworfen.
Wir sollten das auch nicht tun.
Helmut Haas
Vater im Himmel, ich urteile all zu schnell über meine Mitmenschen. Sehe ihre Fehler und übersehe dabei gerne meine eigenen. Zeig du mir meine Fehler auf und hilf mir, den Balken aus meinem Auge zu ziehen. Lass mich barmherzig sein gegenüber meinem Nächsten. Hilf du mir dabei und verändere du mich durch deinen Heiligen Geist. Amen
Lied: Wie ein Fest nach langer Trauer…
Als heutige Bibellese ist Apostelgeschichte 8, 26 – 40 vorgesehen.