24Thomas aber, einer der Zwölf, der auch Didymus genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sagte zu ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meinen Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben. 26Nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war mit ihnen. Jesus kam, obwohl die Türen verschlossen waren, und er trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit euch! 27Dann sagt er zu Thomas: Leg deinen Finger hierher und schau meine Hände an, und streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29Jesus sagt zu ihm: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und glauben!
„Am dritten Tage auferstanden von den Toten“ – was gemeinsam im apostolischen Glaubensbekenntnis ausgesprochen wird, ruft bei getauften Christen mitunter Zweifel hervor: Jesus von den Toten auferstanden – Leben in einen toten Körper zurückgekehrt? Der Zweifel hat seine eigene Stimme: „Ich würde ja gerne, aber ich kann es nicht, ich kann das einfach nicht glauben – nicht mehr glauben, beim besten Willen nicht länger glauben …“
Wo sich Zweifel breit macht, entrinnt einem der eigene Glaube, gleichsam wie eine Hand voll Sand: Was du einst kinderleicht begriffen und in deiner Faust umschlossen hast, das entrinnt dir mit der Zeit unaufhaltsam – Körnchen für Körnchen unbemerkt. Und irgendwann steht man in Sachen Glauben mit leeren Händen da. Wo kein Körnchen Glaubenswahrheit mehr in der eigenen Hand zurückbleibt, hat auch der Zweifel sein Ende gefunden. In der leeren Hand lässt sich nichts bezweifeln.
Was gilt dann stattdessen – unzweifelhaft? Für abgeklärte Alltagsrealisten heißt es: „Nur das, was ich selbst mit eigenen Augen sehen kann, darauf kann und will ich mich einlassen. Alles andere kann ich mir nicht vorstellen.“ Wo nur Offensichtliches zu gelten hat, kann man sich nicht länger auf Glaubensdinge verlassen. Schließlich wird ja im Brief an die Hebräer der Glaube wie folgt vorgestellt: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ (Hebräer 11,1)
So geht der Zweifel mit Dauer zu Lasten eigener Lebenszuversicht: Nichts tritt mir gegenüber, woran ich mich über meinen Tod hinaus festhalten oder worauf ich mich verlassen kann. Das Sichtbare, Nachprüfbare, Offensichtliche birgt keine Verheißung. So muss der Realist mit leeren Glaubenshänden bekennen: „Es ist wie es ist mit dem Tod zu Ende. Wir haben mit tödlicher Gewissheit zu leben.“ Die Sicherheiten, die uns das Offensichtliche anzubieten hat, nehmen uns jegliche Zuversicht über den Tod hinaus.
Im Evangelium wird dem Glaubenszweifel Raum gegeben. Thomas, einer der Zwölf, hat von den anderen Jüngern gehört, dass Jesus von den Toten auferstanden sei: „Wir haben den Herrn gesehen!“ Thomas kann das für sich nicht gelten lassen: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meinen Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben.“
Glaubenszweifel lassen sich nicht durch scheinfromme Ermahnungen niederbügeln: „Das hast du als Jünger Jesu oder als Christin zu glauben, wenn wir, wenn die Kirche dir das so sagt!“ Als gäbe es für uns eine höhere menschliche Autorität mit eigener Unfehlbarkeit, die uns vorschreiben könnte, was wir zu glauben hätten. Glaubenswahrheiten sind Vertrauenssache; die können nicht einfach in den eigenen Kopf gezwungen werden.
Der auferstandene Jesus selbst sucht die Begegnung mit Thomas, kommt ihm mit dessen Zweifeln entgegen: „Leg deinen Finger hierher und schau meine Hände an, und streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Thomas Antwort „Mein Herr und mein Gott!“, erschrockene Anerkennung, kein Zweifel mehr, sondern eigenes Ergriffensein – außer Frage, dass ihm Jesus gegenübertritt.
So lässt sich Jesus von menschlichen Zweifeln berühren. Er sucht unseren eigenen Glauben, will unser Vertrauen, inniges Gottvertrauen: „Mein Herr und mein Gott!“ Glaube ist keine Kopfgeburt, kein Geäst lebensdürrer Lehren, auch kein Irrgarten sonderlicher Gedanken, sondern Gottesnähe. Dass ich mich mit meinem Leben auf Jesus Christus beziehen kann, das ist mein Glaube, meine Hoffnung, …
In der Begegnung mit Jesus sind Thomas die Zweifel genommen, schon bevor es zur leiblichen Berührung kommt. Da mögen Skeptiker und Zweifler einwenden: „Wenn das mir passiert wäre, wenn sich der auferstandene Christus mir so gezeigt hätte, dann könnte ich ja auch glauben ….“ Jesu Schlusswort nimmt genau das auf; er spricht Thomas an: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und glauben!“
„Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen“ (2Korinther 5,7) schreibt der Apostel Paulus. Aber wie soll man zu diesem Glauben kommen, wie soll ich Vertrauen im leeren Raum finden? Im Evangelium sind die Jünger acht Tage nach Ostern in einem Raum versammelt, hinter verschlossenen Türen. Wo Jesus den Jüngern gegenübertritt, handelt es sich um einen besonderen Raum mit einer besonderen Gemeinschaft.
Um Christus zu vertrauen bedarf es eines besonderen Raumes, eines Glaubensraumes. Dort gelten nicht einfach naturwissenschaftliche Gesetze, vielmehr geht es um göttliche Beziehung. Menschen sind eingeladen mit ihren Zweifeln in den Glaubensraum einzutreten, sich auf die Begegnung mit Jesus einzulassen.
Stell dir vor, er tritt Dir gegenüber, in den Handflächen, an den Füßen, an seiner rechten Seite Wundmale, er hält dir seine Wunden hin und schaut dich innig an. Das kannst du dir vorstellen – keine Ausrede, du bist jetzt nicht im Alltagsraum, sondern im Glaubensraum, stehst dort nicht alleine da, unzählige Christen mit dir, auch Menschen, die vor dir gelebt habt, eine ganze „Wolke von Zeugen“ (Hebräer 12,1). Im Raum des Glaubens tritt uns der auferstandene Christus entgegen: „Friede sei mit euch!“
„Was soll das Theater?“ mag der Zweifler einwenden. Ja, nimm es erst einmal als Theater an. Lass das Geschehen für dich als Schauspiel gelten. Es will dir zugute kommen. Im Schauspiel auf der Bühne geschehen mitunter ja auch Dinge, die draußen im Alltag unwirklich erscheinen. Lass dich wie bei einem Schauspiel auf das Geschehen ein. Ein Skeptiker würde ja auch nicht im Theater die ganze Zeit die Arme verschränkt halten und immerfort murmeln: „Unwahr, gibt’s nicht, kann nicht sein.“ Damit hätte er sich ja selbst um das Schauspiel gebracht.
Lass dich wie bei einem Schauspiel auf das Ostergeschehen ein, offenen Auges, offenen Ohres, offenen Herzens; lass dich hineinnehmen in den Raum des Glaubens. Ja, eigenes Verstehen ist durchaus gefragt: Was soll das, warum wurde Jesus getötet, wie ist er auferstanden, was ist uns damit zugesagt? Es gibt den Text zum Nachlesen, die Evangelien und auch die Vorgeschichte im Alten Testament. Im Zusammenhang eines Dramas lassen sich Geschehnisse verständlich erklären.
Im Raum des Glaubens gibt es keine isolierten Glaubenswahrheiten, Körnchen Wahrheiten, die mit der Zeit unseren Händen sandweise entrinnen, sondern es geht um das Drama unseres Lebens, größer, tiefer, weiter als alles Menschenmögliche: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er den einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ (Johannes 3,16) Im Raum des Glaubens lassen wir uns auf das göttliche Drama ein – mit offenen Händen, die von göttlicher Liebe berührt werden. Wir bleiben nicht nur Zuschauer, sondern treten als Mitwirkende auf – Mitleidende, Mitfeiernde, Zweifelnde, Betende, Singende, Zeugen und Bekenner – im Chor mit anderen Christinnen und Christen. Im Evangelium finden sich verschiedene Rollen, in denen wir selbst zur Sprache kommen, die uns alle bei dem Jesusgeschehen halten.
Als Gemeinschaft der Gläubigen machen wir uns mit dem großen Gottesgeschehen vertraut, um selbst Vertrauen in dieses Geschehen zu haben: „Wir glauben an den, der Jesus, unseren Herrn, vom Tod auferweckt hat.“ (Römer 4,25) Immer wieder neu heißt es, in den Raum des Glaubens einzutreten, mich mit meinem eigenen Leben – auch mit meinen Zweifeln – in das Ostergeschehen einweben und einflechten lassen.
Aus der Vertrautheit mit dem Ostergeschehen wächst mein Jesusvertrauen. Verschränkte Arme lösen sich, ungläubige Blicke wandeln sich: Ich erkenne mich selbst auf der Bühne des Glaubens wieder. Die Geschichte ist für mich geschehen – wider allen Zweifel:
Tage nach Ostern waren die Jünger wieder beieinander. Diesmal war ich mit dabei. Wieder waren die Türen verschlossen. Da kam Jesus noch einmal zu uns. Er trat in unsere Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“ Dann sagt er zu mir: „Nimm deinen Finger und untersuche meine Hände. Strecke deine Hand aus und lege sie in die Wunde an meiner Seite. Du sollst nicht länger ungläubig sein, sondern zum Glauben kommen!“ Ich antworte ihm: „Mein Herr und mein Gott!“ Da sagt Jesus zu mir: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.