Predigt zur Konfirmation
in der Martin-Luther-Kirche in Vöhringen
am 10. bzw. 17. Mai 2015
Den Faden gilt es aufzunehmen, um ihn in den eigenen Händen halten. So haben wir ein unscheinbares Kunstwerk vor uns – aus mehreren miteinander verbundenen Fasern gesponnen, verdreht, gezwirnt oder geflochten. Wie auch immer der jeweilige Faden hergestellt worden ist, im weiteren Verlauf sieht er immer gleich aus. Deswegen ist er in der Regel auf einer Rolle oder einer Spule in Bahnen aufgewickelt und kann einfach abgespult werden.
Immer weiter den Faden abspulen, das eigene Leben einfach abspulen – Tag für Tag, Jahr für Jahr – Kinder, wie schnell doch die Zeit vergeht. Kaum 14 Jahre ist es her, dass sie geboren worden sind – unsere Konfirmanden. Gesichter von Säuglingen und Kleinkindern sind noch lebensfrisch im Gedächtnis von Großeltern und Tanten bzw. Onkeln, tauchen farbenfroh in Fotoalben und Videoaufnahmen auf. Und jetzt sitzen sie da vorne im Chorraum – Kinder, wie die Zeit vergeht.
Was, 14 Jahre Lebenszeit? Ganz schön lange. In dieser Zeit ist mit uns so viel passiert – dichte Erinnerungen an Schulzeiten, Schulwechsel, Urlaube, Reisen und Ausflüge, Freundinnen und Freunde, Geschwister, Elterngeschichten, mitunter schmerzliche Erlebnisse. Konfirmanden mögen bei 14 Jahren viel eher von einer langen Lebenszeit sprechen.
Ob das eigene Leben eher als kurz oder als lang empfunden wird, kein Leben, auch das mit 14 wird einfach abgespult. Menschliches Leben hat vielmehr einen Anfang und auch ein Ende. Sichtbar wird dies ja in einem Lebensfaden mit dessen begrenzter Länge. Am Anfang steht die eigene Geburt und am Ende der irdische Tod. Anfang und Ende zeigen sich im Lebensfaden, auch dann, wenn sie nicht wahrgenommen sind. Dazwischen aber gibt es keine „Lebensabschnitte“. Der Begriff taucht mitunter in bedeutungsschwer gemeinten Festtagsreden auf, wenn es heißt, mit der Konfirmation beginne ein neuer Lebensabschnitt – als könne man Leben in Stücke schneiden und müsste daher immer wieder neu an Vergangenes anknüpfen.
Zwischen Anfang und Ende zeigt sich befristete Lebenszeit. Keiner weiß, wo er mit seinem Leben auf seinem Lebensfaden schon angekommen ist. Aber gerade diese Befristung macht Ereignisse wie die Konfirmation ganz besonders. Die Konfirmation wird nicht einfach abgespult, sondern innerhalb einer bestimmten Lebenszeit ganz bewusst angegangen. An der Konfirmation heißt es für Konfirmanden, den eigenen Lebensfaden bewusst aufzunehmen.
Ein Faden setzt sich aus mehreren miteinander verbundenen bzw. verdrehten Fasern zusammen. Er darf nicht einfach isoliert – auf sich selbst bezogen – sein, sondern hat eine weitergehende Bestimmung: Der Faden will gewebt, gestrickt, gewirkt, getuftet, geknüpft oder verknotet sein, um sich in einem Stoff, in einer Textilie wiederzufinden. Fäden verbinden sich mit anderen Fäden zu einem Gewebe. Sie lösen sich aber damit nicht auf; jeder Faden lässt sich in der Textur einzeln nachverfolgen.
Wesentlich ist, wie ich in das Leben mit anderen eintauche und wo mein Lebensfaden mit anderen verbunden ist. Unser menschliches Leben ist eben auf Verbindung mit anderen aus. Nur so kommt das je eigene Lebensmuster zustande. Gut, dass heute Menschen hier in der Kirche sind, deren Leben sich mit eurem seit langem verbunden hat. Keiner muss nachher bei der Einsegnung alleine dastehen.
Ihr Konfirmanden seid alle noch für Überraschungen gut. Wo überall euer Lebensfaden auftauchen und eintauchen wird, mit wem sich euer Leben noch verbinden wird, wer euch Partnerin oder Partner sein wird, wer eurem Leben noch nachkommen wird – da mögen Ahnungen im Raum sind, vielleicht auch elterliche Erwartungen, aber für keinen von euch Konfirmanden ist ein ganz bestimmtes Webmuster schon festgelegt.
Euer Lebensfaden wird sich mit anderen weiter verbinden. Und doch hat er bei aller Verbindung sein eigenes Ende. Wird der eigene Lebensfaden auf sein Ende in Betracht ziehen, taucht die lebensentscheidende Frage ist: Wo komme ich mit meinem Leben zum Schluss raus? Bei wem komme ich mit deinem Leben an? Wer darauf keine Antwort weiß, für den hängt das eigene Leben schlussendlich am seidenen Faden. Für den wird der Lebensfaden zum Schicksalsfaden.
Mit gutem Grund ist die Konfirmandenfrage, die euch nachher gestellt wird, eine echte Lebensfrage:
Wollt ihr unter Jesus Christus, eurem Herrn, leben, im Glauben an ihm wachsen und als evangelische Christen in seiner Gemeinde bleiben, so sprecht: Ja mit Gottes Hilfe.
Wer mit Jesus Christus leben und auf sein Wort hören will, lässt sich mit seinem Lebensfaden in Jesu Leben einweben. In dieser Verbindung geht er oder sie nicht verloren. Er wird vielmehr gehalten. Wenn ihr euch ein Gewebe genauer anschaut, erkennt ihr zwei Fadensysteme: die senkrechten Kettfäden als Träger und die waagrechten Schussfäden, die rechtwinklig verkreuzt sind.
Es ist das Kreuzgewebe, wo Himmel und Erde, Anfang und Ende miteinander verbunden sind. Im Kreuz wird Jesu Lebensfaden sichtbar – sein Fadenlauf hat sich mit unseren Leben verbündet: Für uns ist Jesus Christus geboren, für uns hat er gelebt, für uns ist er gestorben, für uns ist er von den Toten auferstanden. Unsere Schuld und unseren Tod hat er auf sich genommen, auf dass wir mit unserem Leben nicht verloren gehen.
Jesu Lebensfaden ist im Kreuz auch für euch Konfirmanden vorgewoben. Eure Lebensfäden sollen bei ihm eingewoben werden. Im Gleichlauf der Lebensfäden wird seine Hingabe für euch spürbar. Ihr kommt im Evangelium Jesu Leben ganz nahe, seid auf Tuchfühlung mit ihm. Wo euch Jesus berührt, ist euer Leben mit Gottes Liebe fasertief verbunden. Sein Kreuz ist das göttliche Gewebe des Lebens, das dem Tod widersteht. Jesu Lebensfaden hält euch in der Liebe Gottes. In diesem göttlichen Kreuzgewebe werdet ihr den Faden des Lebens nicht verlieren. Das göttliche Gewebe kann einiges an Belastung aushalten. Gottes Liebe kennt keinen Fadenriss.
Wir haben für euch Konfirmanden schon einmal 26 Lebensfäden in dieses Kreuz eingewoben, für jeden einen. Die Fäden zeigen sich in unterschiedlichen Farben und sind nicht gleichläufig verwoben. Mancher Lebensfaden bewegt sich eher am Rand des Kreuzes, Anfang und Ende hängen weit herab. Andere sind ganz nahe am Zentrum des Geschehens dran. Jeder hat im Kreuz Christi sein eigenes Lebensmuster. Aber alle, die sich im Glauben einweben lassen, sind von Gottes Liebe gehalten.
Kein Mensch behält seinen Lebensfaden in der eigenen Hand. Was uns noch alles in Leben bevorsteht wissen wir nicht. Aber wo ich Ja zu Jesus Christus sage, lässt er mich nicht los. Mein Lebensfaden findet Halt bei ihm, findet seine Bestimmung in Gottes Liebe auf Ewigkeit. Da werden für uns die Worte des Apostels Paulus lebenswahr:
„Keiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir nun leben oder sterben, wir gehören dem Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden: dass er Herr sei über Tote und Lebende.“ (Römer 14,7-9)
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Jochen Teuffel, Pfarrer