Predigt über 2. Samuel 22 (bzw. Psalm 18)
In den USA ist ein Bild aus dem Dokumentarfilm „Alone on the Wall“ von 2009 zur Ikone geworden. Es zeigt den damals 23 jährigen Alex Honnold mit dem Rücken zur Felswand auf dem sogenannten „Thank God Ledge“ 45 Meter unterhalb des Gipfels des Half Dome im Yosemite Nationalpark in Kalifornien. Unter ihm liegt die senkrechte, 600 m hohe Nordwestwand aus Granit, die Honnold als erster Kletterer free solo, das heißt im Alleingang unter Verzicht auf technische Hilfs- und Sicherungsmittel in weniger als drei Stunden durchklettert hatte.
Klettern in der Perfektion Honnolds scheint ein wahres Kunstwerk zu sein. Eigenhändig wird im Fels der nächste Griff erreicht, der einen weiter nach oben bringt – Zug um Zug, Schritt für Schritt. Vorsichtig koordinierte Körperbewegungen fügen sich als Route zum Gipfel hin zusammen. Die Felswand lässt sich nicht bezwingen oder in den Griff kriegen; man muss vielmehr den eigenen Halt an ihr finden, darauf vertrauen, dass die Wand einen trägt. Der Kletterer lässt sich mit seinem Leben an einem bloßen Felsen festmachen. Darin zeigt sich sein Glaube.
Passend dazu finden sich im 2. Buch Samuel im 22. Kapitel Worte aus dem Munde Davids:
„Der HERR ist mein Fels,
meine Festung und mein Erretter,
mein Gott, meine Zuflucht, mein sicherer Ort.
Er ist mein Schild, mein starker Helfer,
meine Burg auf unbezwingbarer Höhe.
Er streckte mir seine Hand von oben entgegen
und riss mich aus den tosenden Fluten.
Der HERR gab mir sicheren Halt
und führte mich aus der Not hinaus in die Freiheit.
Er rettete mich. So viel bedeute ich ihm!
Der HERR tat mir Gutes für meine Treue,
meine Rechtschaffenheit hat er belohnt.
Denn stets bin ich dem HERRN gefolgt
und habe meinem Gott nie den Rücken gekehrt.
Der HERR allein ist Gott!
Wer außer ihm ist so stark und unerschütterlich wie ein Fels?
Gott allein ist meine Burg, in der ich Zuflucht finde.
Er ebnet mir meinen Weg.
Er beflügelt meine Schritte,
lässt mich laufen und springen wie ein Hirsch.
Selbst auf steilen Felsen gibt er mir festen Halt.
Der HERR lebt!
Er ist mein schützender Fels – ich preise ihn!
Ihn allein will ich rühmen,
denn er ist mein Gott, mein Fels,
bei dem ich Rettung fand.“
Felsenfest steht der Gott für unser Leben ein. Wo Dinge und Beziehungen im Verlauf der Zeit sich ändern, gar vergehen, zeigt ER sich Menschen unveränderlich standhaft. „Der HERR ist mein Fels, meine Festung und mein Erretter, mein Gott, meine Zuflucht, mein sicherer Ort.“
Die Einladung gilt auch uns: Geh mit deinem Leben auf diesen Felsen zu, lass dich mit dem eigenen Leben an ihm festmachen, glaube ihm. Mitunter halten wir Distanz zu Gott, betrachten ihn in der Ferne wie einen majestätischen Berggipfel im Abendrot. Zur hart scheint er unseren Lebensansprüchen zu sein. Weich, anschmiegsam soll er sein, mein Gott für mich, Seelentröster zum Umarmen – der liebe Gott, der nicht wirklich mein Leben bergen und tragen kann.
„Er ist mein Gott, mein Fels, bei dem ich Rettung fand.“ Um dieser Zusage glauben zu können, braucht es eine menschliche Lebensspur in göttlichen Fels. Einer muss uns vorausgegangen sein – einer, der sich als Mensch ganz und gar auf diesen Fels eingelassen hat, der mit seinem Leben und Sterben uns diesen Fels zu unserem Heil erschlossen hat: Jesus Christus, Gottes Sohn, ist in der Felsgrotte zu Bethlehem für uns Mensch geworden, hat wider unsere Gottesfremde sich auf dem Kreuzfelsen von Golgota hingegeben, wurde im Felsengrab in den Tod eingeschlossen und ist am dritten Tag auferstanden. So hat er uns den Lebensweg im göttlichen Felsen erschlossen: Aus hartem Fels quillt Liebe uns entgegen, aus Granitgestein blüht uns ewiges Leben. Im Glauben an ihn folgen unsere Hände diesem Felsriss, finden ihren festen Halt, der uns schlussendlich von uns selbst erlöst.