Von Gabriele Burmann, Dekanin i.R., Neu-Ulm
Liebe Gemeinde,
Heute geht es um das erste Gebot:
Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben, neben mir. (2.Mose 20,2-3)
Heute stehe ich vor Ihnen, nachdem ich ein Berufsleben lang Geschichten über Gott erzählt habe, selbsterlebte oder überlieferte Spuren seines Daseins und Wirkens verfolgt und weitergegeben habe, ja auch mal vergeblich nach ihm gesucht und gefragt, auch mal mit ihm gehadert habe. Was bleibt wichtig? Ist er mir näher gekommen im Laufe der Jahre, oder eher ferner gerückt? Verstehe ich heute mehr von seinem Wesen? Kommt jede Rede von Gott nicht vielleicht altmodisch rüber, klingt wie aus einer längst vergangenen Zeit? Was ist mit den 10 Geboten?
Sind sie vielleicht längst überflüssig? Der Mensch hat sich emanzipiert, hat Moral gelernt und Rücksichtnahme und Respekt? Längst ohne den Glauben an den einen Gott? Aber in unerschütterlichem Stolz auf die eigene Größe.
Wenn ich zurückschaue, auf den 60er Jahre: Da haben Manche gehofft, dass die Technik uns Menschen zu Vernunft bringen wird: Die Mondlandung hat gezeigt, zu welchen Höhenflügen der Mensch fähig ist.
In den 90er Jahren nach der Wende waren wir wie berauscht vom Wunder der gewaltlosen Wiedervereinigung Deutschlands und der offensichtlichen Auflösung der verfeindeten Blöcke. Endlich bricht Frieden an und Gerechtigkeit bricht sich Bahn. Endlich kann sich die Menschheit um die Bewahrung der Schöpfung, die Rettung der Mitwelt kümmern.
Und dann die Ernüchterung. In den letzten Jahren mehrere große Ohnmachtserlebnisse:
Eine Pandemie – Dabei ist das schlimmste die Erkenntnis, dass auch in der Not jeder sein Nächster ist, und so viel Eigennutz und Ratlosigkeit zu spüren war.
Und dann der Krieg in Europa. Wir wollten Frieden schaffen ohne Waffen, ich stand damals in der Menschenkette im Wiley gegen den Nato Doppelbeschluss, dort wo die Pershings stationiert waren. Und nun feiert wieder der Gedanke vom gerechten Krieg ein Comeback und wir erleben eine in Lager zerrissene Welt:
Viel zu oft haben wir in der letzten Zeit gemerkt, dass wir nichts oder fast nichts zu einer Besserung der Situation beitragen können. Ohnmachtserfahrungen führen zu Depression oder Wut. Die Trommeln der „Spaziergänger“ vom Freitag, die durch Ulm und Neu-Ulm gezogen sind, dröhnen mir noch im Gedächtnis.
Oder wie es manche jungen Menschen tun, in ihrer Hilflosigkeit: Sie kleben sich an Straßen und Startbahnen, sie klettern auf Bäume und verschanzen sich in aufgelassenen Häusern. Sie stören auf vielfältige Weise, sie zeigen ihre Verzweiflung und verstoßen dabei gegen Gesetze. Und dabei haben sie doch Recht mit ihrer Mahnung zur Umkehr.
Wer ein politisches Amt innehat, erlebt auch dass er oft hilflos ist, gegen Sachzwänge und Rücksichten die nichts vorwärtsbringen, was doch Not tut.
Währenddessen kommen immer mehr Geflüchtete aus verschiedenen Gegenden der Welt zu uns, erwärmt sich die Erde weiter und die alten Grenzen von Nationen und Machtblöcken erstehen auf, auch der Wahn von Rassenunterschieden gewinnt an Attraktivität.
Wie klingt da das Wort in unseren Ohren: Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir?
Mich befördern diese Worte mit einem Mal heraus aus den vielen Stimmen und Nachrichten. Sie tun mir gut. Ruhe umgibt mich. Ich spüre den langen Atem Gottes. Eine ganz andere Zeitrechnung: 1000 Jahre sind vor dir, wie der Tag der gestern vergangen ist und wie eine Nachtwache. (Psalm 90,4)
Ich nehme einen anderen Blickwinkel ein: Ich sehe die Erde aus weiter Ferne als winzigen leuchtenden Punkt im dunklen Weltall.
So konnte man kürzlich mithilfe einer Raumsonde unsere irdische Heimat zum ersten Mal sehen. Das Bild hat mich fasziniert.
Nein, das ist noch lange nicht der Blickwinkel Gottes. Aber wir können in der Betrachtung der Erdgeschichte eine winzige Ahnung von den Zeitläuften gewinnen. Jahrmillionen sind abzulesen an Felsformationen und Spuren fossiler Lebewesen.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch. Ich kann sie nicht begreifen (Psalm 139.6),so staunt der Psalmbeter vor Tausenden von Jahren und spricht mir aus dem Herzen.
Und der biblische Hiob erkennt nach vielen Höhen und Tiefen, nach persönlichen Schicksalsschlägen und Zweifeln die Größe Gottes. Aus dem tiefsten persönlichen Unglück heraus zeigt Gott ihm seine gewaltige Größe – am Himmel und auf der Erde und im Erdinneren, im Leben der Tiere und in den Jahreszeiten, in Wind und Wetter …und da staunt er und findet sich ab mit seinem bescheidenen Platz im großen Universum und tut Buße. So findet seine Seele Ruhe und Heilung…..
Und Hiob antwortete dem Herrn und sprach: „Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer. Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand? Darum habe ich unweise geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe. So höre nun, lass mich reden; ich will dich fragen lehre mich: Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche“ […] Und der Herr wandte das Geschick Hiobs. (Hiob 42, 1ff)
Das ist der Weitwinkel Gottes. Und wie ich finde, die einzig wahre Haltung von uns Menschen auf das Erlebnis eigener Winzigkeit und Ohnmacht: In Demut zu verharren vor dem der gesagt hat, ich bin der Herr dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Wer bin ich, dass ich rechte und mich beschwere?
Ich muss mich mit meinem bescheidenen Platz im großen Universum abfinden.
Und doch steckt im 1. Gebot auch etwas Tröstliches. Es bleibt nicht beim unpersönlichen Fatum, wir werden nicht ins Dasein geworfen von dunklen Schicksalsmächten und gehen verloren, sondern wir vernehmen eine persönliche Stimme:
Ich bin dein Gott.- Ich lasse mich auf dich ein. Ich sehe dich. Ich suche dich auf. Ich hoffe auf deine Antwort: Keine anderen Götter sollst du haben.
Martin Luther führt in seiner Auslegung zum 1. Gebot meinen Blick vom Universum auf die Erde, von den Sternen auf die Gassen: vom Weitwinkel in die Makro-Funktion.
Wir sollen Gott über alle Dinge, fürchten, lieben und vertrauen.
Gott fürchten, dazu höre ich eine Stimme, die sagt: Gott lässt sich nicht spotten. Was der Mensch säht, das wird er ernten. (Galater 6,7)
Dazu gehört, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Und insbesondere mit denen, die uns anvertraut sind. Wie gehen wir mit den Kleinen um in den Kitas und Schulen? Wie nehmen wir Rücksicht im Straßenverkehr auf die Langsamen und Unbeholfenen? Kümmern wir uns um unsere Umwelt in unserer Nähe? Erheben unsere Stimme, wo unnötig Bäume gefällt werden, wo ein Kindergarten nicht gebaut werden darf, weil die Kleinen stören und schmutzen?
Lassen wir die Mutter mit dem schreienden Kind an der Kasse vor und sprechen wir mit dem Mann ohne Obdach wenigstens ein paar Worte, haben vielleicht noch etwas für ihn übrig?
In Gottes Namen, sagen manche: Ja das ist die Haltung: Gott über alle Dinge zu fürchten.
Und wir lieben ihn, wenn wir seine Geschöpfe, auch die schwierigen, die wütenden, die psychisch Kranken sehen und ertragen.
Gott über alle Dinge lieben, heißt auch das Feindbild das wir in uns tragen, in Frage stellen zu lassen.
Neulich hat mich eine Nachricht aus dem Kriegsgeschehen in der Ukraine sehr bewegt. Da wurde eine Gruppe russischer Soldaten von einem Geschoss tödlich getroffen, weil die jungen Männer ihre Handys benutzt hatten. So hatten sie sich verraten.
Mir ist das sehr nah gegangen. Die jungen Männer sind wie die jungen Männer auf der Gegenseite, von ihren Lieben getrennt und hatten wohl einfach Kontakt gesucht mit Kurzmitteilungen, vielleicht mit Selfies aus der Gefechtsstellung. Sie könnten unsere Söhne, unsere Enkel sein…
Liebe deinen Feind. Er ist wie du. Müssen wir uns die Feindesliebe aufsparen, bis zum Ende des Krieges aller Kriege, gleichsam als Luxus für Friedenszeiten?
Wir glauben an den einen großen Gott. Aber der hat sich uns in atemberaubend schlichter Weise genähert: Er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, (Philipper 2,7) in Jesus und der hat unser Dasein geteilt. Und in der kurzen Zeitspanne seines irdischen Lebens gezeigt, dass der große Gott voller Liebe ist.
Jesus hat die Kinder und die Armen und die Benachteiligten gesehen und in den Mittelpunkt seiner Botschaft gestellt. Und er hat uns die schwere Feindesliebe ans Herz gelegt.
Zum guten Schluss sagt Martin Luther: Du sollst Gott über alle Dinge vertrauen.
Dazu möchte ich Ihnen eine erlebte Geschichte von mir erzählen, sie wurde mir zum Gleichnis:
Wir waren in einem Wadi in Israel. Auf einmal mussten wir, Dekans Kollegen aus Schwaben, eine Leiter an einer hohen steilen Wand hinaufsteigen.
Ich war die Letzte. Alle anderen waren schon hinaufgeklettert.
Ich hatte keine Wahl. Wenn ich nicht alleine unten im Wadi stehen bleiben wollte, musste ich diesen haushohen Aufstieg wagen.
Ich bin Sprosse für Sprosse hinaufgestiegen. Aber am schlimmsten war die Vorstellung in Turmhoher oben aussteigen zu müssen.
Ich habe gerufen: Ist da wer? Und von oben kam die Antwort: Ja komm, ich reiche dir meine Hand, ich helfe dir heraus. Danke Kollege.
Das war eine echtes Vertrauensübung.
Und für mich ist es ein Bild für das Leben, das ein Wagnis bleibt und in dem es keine andere Sicherheit gibt, als die Stimme von oben: Ich bin dein Gott. Ich sehe dich. Geh deinen Weg. Schritt für Schritt…
Wir sollen Gott über alle Dinge vertrauen.
Lasst es uns wagen. In Gottes Namen.
Amen.
Gehalten am Sonntag, 12. Februar 2023 in der Martin-Luther-Kirche in Vöhringen/Iller im Rahmen der Predigtreihe „Zehn Gebote entfaltet“.