Predigt über die Zehn Gebote von Dekan Jürgen Pommer bei der Einweihung der Gebotsstelen am Reformationstag in Vöhringen

Bei der Einweihung der Zehn Gebotsstelen vor der Martin-Luther-Kirche in Vöhringen hat Dekan Jürgen Pommer folgende Predigt gehalten:

Predigt über Ex 20, 1-17 zur Einweihung der Gebotsstelen in Vöhringen am 31. Oktober 2021

„Und Gott redete alle diese Worte: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.

Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott.

Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.

Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.

Du sollst nicht töten.

Du sollst nicht ehebrechen.

Du sollst nicht stehlen.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.“

Liebe Gemeinde,
  
 was für Worte!

  
Sie sind Weltliteratur, sie gehören zu den Kerntexten unserer Kultur.

Wenn Sie die fünf wichtigsten Texte der Menschheit auswählen müssten, wären die 10 Gebote vermutlich darunter.

  
Was für Worte! Alt. Vertraut. Und zugleich fremd.
  

„Du sollst“ und „Du sollst nicht“ – das hören wir nicht so gern.

Vielleicht weil wir aus früheren Zeiten den erhobenen Zeigefinger kennen, der so manche Mahnung oder Erziehungsmaßnahme begleitet hat.

Vielleicht auch, weil wir uns nicht gerne in unserer persönlichen Freiheit einschränken lassen wollen.

Liebe Gemeinde, stellen wir uns einmal für einen Moment eine Welt vor, in der es keine Regeln, Gebote und Verbote gibt. Stellen wir uns vor, jeder darf tun, was ihm gefällt.

Wir verlassen morgens das Haus. Weil es keine Gebote und Verbote gibt, gibt es auch keine Verkehrsregeln. Aber wir haben Glück und kommen heil auf der anderen Straßenseite an.

Dort erwartet uns jemand, der ebenfalls tun darf, was ihm gefällt. Leider gefällt es ihm, uns den Geldbeutel wegzunehmen, weil er der Meinung ist, diese Art des finanziellen Ausgleichs sei doch angemessen. Am besten überlassen wir ihm den Geldbeutel, bevor er ihn mit Gewalt nimmt.

Die Auseinandersetzung mit dem Dieb hat dazu geführt, dass wir zu spät zur Arbeit kommen. Kein Problem in einer Welt ohne Gebote und Verbote. Es wird sowieso nicht gearbeitet. Denn auch die Kolleginnen und Kollegen tun, was ihnen gefällt, und sind gar nicht erst gekommen.

Also gehen wir wieder nach Hause. Leider wohnt dort inzwischen eine andere Familie, der unsere Wohnung so gut gefallen hat, dass sie dort eingezogen ist.

Wir brauchen einen Ort zum Nachdenken. Eine Parkbank vielleicht? Etwa hier auf dem schönen, neu gestalteten Vorplatz der Martin-Luther-Kirche? Schade, dass wir keine Bank finden. Noch nicht einmal einen Park. Denn es macht sich niemand die Mühe, einen Park anzulegen und Bänke aufzustellen.

Liebe Gemeinde, schnell wird deutlich: Nichts funktioniert, wenn jeder das tun darf, was ihm gefällt.

Oder wenn er nur das tut, wozu er gerade Lust hat. Eine Welt ohne Regeln führt also offenbar nicht in die große Freiheit.

Aber genau das wollen die 10 Gebote tun: Menschen in die Freiheit führen.

In der Einleitung steht nämlich gar kein Gebot. Sondern da heißt es:  „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“
  
Diese Einleitung ist so etwas wie die große Überschrift zu den Geboten, die dann im einzelnen entfaltet werden.

Gott selbst redet uns an. Der lebendige Gott nimmt zu uns eine Beziehung auf, er kümmert sich um uns.

Er ist ein Gott, der befreit.

Das gilt nicht nur für die Israeliten, die aus Ägypten in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Auch unser Land hat Befreiungen erfahren: Die Befreiung aus dem Wahn und Terror der Nazis. Aus der Spaltung Deutschlands, an deren Ende nur wenige geglaubt haben.

Auch wir selbst haben Befreiung erfahren: Aus persönlichen Verirrungen und Verwirrungen, aus Ratlosigkeit und Angst.

Darum: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“

Nicht den Gott Erfolg.  Nicht den Gott Anerkennung, Schönheit oder Geld.

Denn diese Götter machen uns nicht frei, sondern abhängig, weil wir uns immer abstrampeln müssen, ihnen nahe zu kommen. Wer in seinem eigenen Herzen Gott wirklich Gott sein lässt, wird frei von Ersatzgöttern, die uns beherrschen wollen.

Gott sagt zu Mose: „Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei gehört.“
  
Was für ein Gott offenbart sich da in der Bibel.

Kein fernes, geheimnisvolles Wesen. Kein ferner Herrscher über den Wolken.

Sondern ein naher Gott, der unsere Not sieht.

Ein Gott, der sich für uns interessiert.

Liebe Gemeinde, die Sprache, in der uns die 10 Gebote ursprünglich überliefert sind, ist das Hebräische.

Diese Sprache kennt den Ausdruck „Du sollst“ gar nicht.

Wörtlich übersetzt beginnen die Gebote mit „Du wirst“ oder „Du wirst nicht.“

Du wirst die Gebote halten.

Weil du Gott dankbar bist.

Weil er dir so viel schenkt, was du dir selbst niemals verdienen oder erarbeiten könntest.

Weil diese Welt seine gute Schöpfung ist, die er dir anvertraut hat.

Weil auch die anderen Menschen seine Kinder sind.

Weil Gott dich frei macht von Abhängigkeiten.

Darum kannst du es dir leisten, nicht ständig nur auf dich zu schauen.

Darum musst du keine Angst haben, zu kurz zu kommen.

Darum brauchst du nicht verbissen um das zu kämpfen, was dir vermeintlich zusteht.

Liebe Gemeinde, wenn wir Gott vertrauen, wenn wir uns ihm anvertrauen, dann werden wir die 10 Gebote als das erkennen, was sie sind: Orientierung und Wegweisung, die uns in die Freiheit führen.

Der Friede Gottes, der uns frei macht von Abhängigkeiten und Verstrickungen, der uns immer wieder hinausführt aus der Enge in die Weite, bewahre unsere Herzen und Sinne bei Jesus Christus, unserem Bruder und Herrn. Amen.

Hier die Predigt als pdf.

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