12 So bekleidet euch nun als von Gott auserwählte Heilige und Geliebte mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut und Geduld! 13 Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so sollt auch ihr vergeben! 14 Über all dem aber vergesst die Liebe nicht: Darin besteht das Band der Vollkommenheit. 15 Und der Friede Christi regiere in euren Herzen; zum Frieden seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Und dafür sollt ihr dankbar sein. 16 Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum unter euch: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit, singt Gott, von der Gnade erfüllt, in euren Herzen Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder! 17 Und alles, was ihr tut, mit Worten oder Taten, das tut im Namen des Herrn Jesus – und dankt dabei Gott, dem Vater, durch ihn.
Ihr kennt die Rede, es gehe in unserer Gesellschaft im Zusammenleben der Menschen kälter zu wie früher. Man habe seine Mitmenschen immer weniger übrig; jeder schaue auf seinen eigenen Vorteil. Jetzt im Frühling, wenn sich das Leben mehr nach draußen verlagert, heißt es neu aufeinander zuzugehen. Abwarten, ob der andere auf uns zukommt, ist nicht angebracht. Um anderen im guten Sinne nahezukommen, braucht es eine richtige Ausgeh- oder besser „Zugehkleidung“. Unser nacktes „ich“, von Stimmungen und Launen geprägt, hat seine Schattenseiten. Was von meinem Inneren nach außen tritt, ist mitunter nicht gut für eine dauerhafte Nähe. Der Anspruch eines Authentisch-Seins kann eine Schlagseite haben. Auch Diktatoren und „Bosse“ können sich in ihrem Verhalten authentisch zeigen, was andere zu erleiden haben.
Damit wir uns anderen gegenüber nicht eine schwer erträgliche Blöße geben, braucht es eben die richtige „Bekleidung“. Davon schreibt Apostel Paulus im Brief an die Kolosser: „So bekleidet euch nun als von Gott auserwählte Heilige und Geliebte mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut und Geduld!“ Das sind sie also – die kleidsamen Tugenden für die Begegnung mit anderen und für das gegenseitige Zusammenleben. Wer ihnen folgt, findet auf Dauer zur wahren Gemeinschaft.
Die Tugenden für das Zusammenleben sind nicht selbstgestrickt, sondern gleichsam als Kleidungsstücke für uns gewoben. Was Jesus selbst gelebt, erlitten und überwunden hat, ist der Lebensfaden, der das Gewand durchwirkt. So heißt es mit Paulus: Zieht an, was der Gott für euch in Christus vorgesehen hat, nämlich herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld. Sie hüllen ein und wirken zugleich auf Menschen um mich herum.
Noch einmal lässt sich Jesu Lebensfaden aufnehmen, zunächst im innigen, herzlichen Erbarmen. Wider eigene Herzenshärte lasse ich mich im Blick auf Mitmenschen innerlich bewegen, muss nicht mit einem Urteil über andere das letzte Wort behalten. Ohne abschließendes Urteil suche ich immer wieder neu meinen Mitmenschen gerecht zu werden, auch in deren Unvollkommenheit und deren Schwächen. Die Barmherzigkeit kommt mit Enttäuschungen zurecht und lässt den anderen trotz allem neu annehmen. Und dann finden sich auch die Freundlichkeit und die Güte, die dem anderen zugetan sind. In der eigenen Demut nehme ich meine eigenen Schwächen in den Blick. Ich erhebe ich mich nicht über Mitmenschen, ahne oder weiß ich doch davon, dass ich selbst mitunter anderen gegenüber unmöglich bin. Sanftmut und Geduldwiderstehen dem Zorn, der mitunter Dinge und Vorfälle schmerzlich verschärft. Sie stehen dabei nicht einfach für Schlucken oder Wegsehen; Geduld bedeutet nicht einfach Erdulden, sondern zeigt sich auch in der Beharrlichkeit. Ich gebe nicht auf, das zu ändern, was mir zu schaffen macht.
Das sind also ermutigende Worte: „Gott hat euch als seine Heiligen erwählt, denen er seine Liebe schenkt. Darum legt nun die entsprechende »Kleidung« an: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld.“ (Kolosser 3,12) Tag für Tag heißt es, dieses Kleid bewusst anzuziehen, um den Mitmenschen liebevoll gegenüberzutreten. Wo morgens der Blick in den Spiegel das eigene Aussehen überprüft, so können wir uns auch das Anlegen des Christusgewandes bildlich vorstellen. Sind Güte und das Erbarmen kleidsam angelegt, dann wirkt sich dies sowohl innerlich wie auch im Gegenüber zu unseren Mitmenschen aus. Die richtige Kleidung angelegt lässt uns auf unsere Mitmenschen positiv und selbstbewusst zugehen.
Ein weiterer Schritt sieht der Apostel für uns vor: „Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit, singt Gott, von der Gnade erfüllt, in euren Herzen Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder!“ (V 16) Wo das Gewand der Freundlichkeit und des Erbarmens angelegt ist, dürfen tatsächlich Dinge beim anderen angesprochen werden, die nicht das eigene Wohlgefallen finden. Nicht das eigene Urteil soll gelten, sondern die neue Sprache füreinander. Dass wir gemeinsam einstimmen in das Gotteslob überwindet manche Trennung. Im Gotteslob können wir uns einig werden. Wenn wir mit unseren Stimmen zueinanderfinden, herrscht kein klägliches Stimmengewirr.
Wer Gott mit eigener Stimme lauthals lobt, lässt Seelentrübnis hinter sich. Das Gotteslob zündet in uns ein Freudenfeuer an. Mit jedem Halleluja drängt die Seele nach draußen, will ganz bei Gott sein. Wie eine Blüte, die sich dem Licht zuwendet und mit jedem Blütenblatt selbst erstrahlt, so blühen Menschen im Gotteslob auf. Gemeinsam entgleitet das große Halleluja unseren Lippen, erhebt die Seele, richtet uns auf. Das Gotteslob leuchtet in unseren Augen, verbindet uns untereinander, verbindet uns mit dem lebendigen Gott. So wird im Gotteslob die Lebensfreude dauerhaft wahr. Und so finden wir dann auch zum Schlusswort beim Apostel: „Und alles, was ihr tut, mit Worten oder Taten, das tut im Namen des Herrn Jesus – und dankt dabei Gott, dem Vater, durch ihn.“ (V 17). Amen.
Jochen Teuffel