Predigt zum 8. Gebot im Rahmen der Reihe „Zehn Gebote entfaltet“ gehalten von Lektorin Ute Eiselt

Predigt zum 8. Gebot im Rahmen der Predigtreihe „Zehn Gebote entfaltet“

Gehalten von Ute Eiselt, Lektorin

Liebe Gemeinde,

kommt ihnen dieses Gefühl bekannt vor? Da erfahren Sie über ein paar Ecken etwas über ihre eigene Person, das was Sie gesagt oder getan haben sollen und Sie denken sich: Wie? – So war das doch gar nicht! Das ist ja völlig falsch! Und sie ärgern sich über die Person, die diese falsche Information in die Welt posaunt, beziehungsweise gepostet hat.

In der Südwest Presse vom 13.03.2023 stand in einem kleinen Artikel unter der Überschrift ANONYM UND SCHADENFROH zu lesen: „Im Netz haben sich 18 Prozent der Männer und 11 Prozent der Frauen aus Gründen der Anonymität mindestens ein Fakeprofil angelegt. 18 Prozent der Männer und 9 Prozent der Frauen schauen sich gezielt Inhalte an, um sich über andere lustig zu machen.“

Welche Gedanken wandern Ihnen durch den Kopf, wenn Sie dies hören?

Liebe Gemeinde,

ich gehe davon aus, dass die zehn Gebote uns allen hier bekannt sind. Können sie diese auf­sagen, auswendig, alle zehn und in der richtigen Reihenfolge? Dann gehören Sie mittlerweile zu einer Minderheit in unserem Land. Die Vöhringer unter uns haben es da inzwischen einfa­cher. Jedes Mal beim Gang in die Kirche gehen sie an den Gebotsstelen – aufgereiht auf dem Weg zum Kirchenportal – vorbei…

„Die Zehn Gebote sind uralte Richtlinien, die vor Jahrtausenden aufgeschrieben wurden. Sie sind ein wichtiges Fundament unseres christlichen Glaubens. Die ersten vier Gebote befassen sich mit der Beziehung des Menschen zu Gott. Die weiteren sechs Gebote beziehen sich auf die Beziehungen der Menschen zueinander.“[1]

„Der Schriftsteller Thomas Mann hat die Zehn Gebote einmal ‚das ABC des Menschheitsbenehmens‘ genannt.“[2] Sich im Internet über andere lustig zu machen, zeugt das von Menschheits­benehmen?

„Hören wir zunächst auf die Worte des 8. Gebots. Es lautet: Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Martin Luthers Erklärung dazu im Kleinen Katechismus lautet folgendermaßen: ‚Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder ins Gerede bringen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.‘“[3]

Luther schreibt: „Das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Das lehrt ernstlich und wahrhaftig untereinander sein und allerlei Lügen und Verleum­dung meiden, gern das beste von andern reden und hören, und ist damit unserm guten Ruf und Unbescholtenheit eine Mauer und Schutz.“[4]

Nach Martin Luther schützt das 8. Gebot „die Ehre des Nächsten. a) Im Alten Testament bezog es sich auf den Zeugen (und den Richter) im öffentlichen Prozess. b) In seinem geistlichen Sinn umspannt es auch den guten Streit für die Wahrheit des Evangeliums.“[5]

Für Martin Luther bilden die Zehn Gebote das erste „Hauptstück“ in seinem Kleinen Katechismus; sie sind die Grundlage für das Zusammenleben in Familie, Kirche und Staat. Luther legt Wert darauf, dass die Gebote, wenn sie auch in der Mehrzahl als Verbote formuliert sind, zu einer ganzen und umfassenden Lebenshaltung anleiten wollen: Wir sollen unseren Mitmenschen ‚helfen und beistehen in allen Nöten‘. Es geht bei den Geboten also nicht darum, bestimmte Handlungen zu unterbinden. Es geht vielmehr darum, das ganze Leben an Gott auszurichten – dass alle Menschen gut, in Freiheit und Frieden leben können.“[6]

In diesem Sinn sind die Gebote nicht überholt. „Und trotzdem: Was uns als erstes zu hören gut tut, ist das wichtigste und zentrale Anliegen aller Gebote – dass wir Gott Gott sein lassen und ihn mit unserem Leben, unserem Verhalten, mit unseren Worten und Handlungen ehren.“[7]

„Du sollst nicht gegen deinen Nächsten als falscher Zeuge aussagen. Die letzten drei Gebote sind dadurch miteinander verbunden, dass sie ausdrücklich «den Nächsten» und damit den unmittelbaren Nachbarn nennen, an dem die eigene Freiheit ihre Grenzen findet.

Sie betreffen ganz konkrete Lebens­bereiche. Das wurde in der Vergangenheit nicht immer ausreichend beachtet. Luthers Formulierung «Du sollst nicht falsch Zeugnis reden …» und seine Erklärung haben die pädagogische Anwendung häufig in die Richtung eines allgemeinen Lügenverbots gelenkt. Doch was meint das Verbot, als falscher Zeuge auszusagen, ursprünglich?

Seine tragenden Formulierungen stammen aus dem Gerichtsverfahren. «Aussagen gegen» ist ein fester Begriff für das Auftreten des Zeugen (Ex 23,2). Als «falscher Zeuge» wird derjenige bezeichnet, der Lügen aussagt (Spr 6,19). Wehe dem, dessen Leben in der Hand eines Zeugen liegt, der lügt: «Eine Streitaxt, Schwert und Pfeil ist jeder, der gegen seinen Nächsten als falscher Zeuge aussagt.» (Spr 25,18) Weil Lügen eine gewaltvolle Wirkung entfalten können, heißt der falsche Zeuge auch «gewalttätiger Zeuge» (Ex 23,1) Lügen können Zerstörung und Leid anrichten. Falsche Anschuldigungen hat man später dadurch in Grenzen zu halten gesucht, dass man Todesurteile an das Zeugnis von mindestens zwei Zeugen band und außerdem die Zeugen an der Hinrichtung beteiligte (Dtn 17,6-7; 19,15). Im Falle eines Lügenzeugnisses hätten sich die falschen Zeugen damit selber Blutschuld aufgeladen, die sich – wann auch immer – an ihnen selbst auswirkt (Spr 19,5).

Allerdings hat auch die Zwei-Zeugen-Regel Fehlurteile nicht verhindern können, wie man an den Fällen Naboth im Alten Testament (1 Kön 21) und Jesus im Neuen Testament (Mk 14,53-59) sieht. Und: die Regel hat Fehlurteile nicht nur nicht verhindert – bei „zwei gegen einen“ konnte die Regel sogar ausgenutzt werden, um einen Dritten „loszuwerden“. Das im Verbot falschen Zeugnisses für «Falschheit/Lüge» gewählte hebräische Wort säqär bezeichnet die aggressiv gegen den Nächsten gerichtete, gemeinschafts­schädigende Wirkung des Lügens im Unterschied zur Lüge (käzäb) im Sinne der Diskrepanz zwischen Aussage und Sachverhalt.“[8]

Wie Sie wissen findet im Gericht bis heute die Formel gebrauch: „Sagen Sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit!“ Gemeint ist also: sagen Sie das was wahr ist – erfinden Sie nichts dazu und lasse sie auch nichts weg was von Bedeutung sein könnte.

Umgekehrt heißt das also: „Auch nicht schweigen an der falschen Stelle!“ Der Psalmist denkt: „Ich schweige, um nicht unbesonnen zu reden“. Er hüllt sich in Schweigen, denn „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Doch da ist auch das schuldhafte Schweigen, ein Totschweigen.

„Reden hat seine Zeit; Schweigen hat seine Zeit (Pred 3, 7). Worte töten und machen lebendig; Schweigen kann töten und reden. Auch für das Reden und Schweigen gilt schließlich die „goldene Regel“: „Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“ (Mt 7, 12).

„Wer als Zeuge lügt (kizzeb), indem er unrichtige Sachverhalte verbreitet und unzutreffende Anschuldigungen erhebt, begeht Treubruch (säqär), weil er die Basis von Treu und Glauben verlassen hat, auf der jedes Zusammenleben in einer Gesellschaft beruht (Spr 14,5). Das Verbot, in einer Rechtssache als falscher Zeuge gegen seinen Nächsten auszusagen, hat die aggressive Wirkung des Lügens (säqär) im Blick, das dem Nächsten schadet. Der Akzent liegt weniger auf der Wahrheits­liebe als privater Tugend als vielmehr auf der Kraft der Wahrheit, gestörtes soziales Zusammenleben im öffentlichen Bereich wieder zurechtzubringen.“[9]

„Heilung schafft das persönliche Gespräch und das Wort der Vergebung. Worte können lebendig machen. Der freundliche Gruß, die teilnehmende Bemerkung kann Beziehungen herstellen und Brücken bauen. Das empathische Gespräch kann neue Perspektiven eröffnen; die zum Besten kehrende Fürsprache kann Hoffnung geben; das vergebende Wort schenkt Leben. Das stellvertretende Fürsein, die Fürsprache und das Vergebungswort aber gestaltet sich als das ‚Lebensprinzip der christlichen Gemeinde‘ (Dietrich Bonhoeffer). Ja, Worte töten und machen lebendig.“[10] Gutes für einen anderen sagen, meint segnen.

„Jesus sah in den Zehn Geboten nicht das Mittel zur Herstellung einer kollektiven Ordnung. Ihm ging es um das Heilwerden des Lebens eines jeden Einzelnen. Er hielt der Ehebrecherin nicht die Gebote vor, sondern fragte in Richtung derjenigen, die sie verurteilen und töten wollten: Wer von euch ist ohne Sünde? Der werfe den ersten Stein. Jesus machte damit deutlich, dass die Gebote der Liebe untergeordnet sind. Dem christlichen Glauben geht es nicht um Tugend, sondern um Glauben und Vertrauen auf Gott (Römer 14, 3).“[11]

Gott, der alles Leben geschaffen hat und der uns die Freiheit schenkt, er ist Mittelpunkt und Bezugsrahmen unseres ganzen Lebens, wenn wir mit Ernst Christen und Menschen sein wollen.

Lassen Sie mich noch einmal zurück auf den Beginn dieser Predigt schwenken. Wie war das nochmal mit dem Internet?

„Im Blick auf die Mediatisierung unserer Kommunikationsgesellschaft wendet sich das Gebot gegen täuschende Falsch­meldungen, gelenkte Indiskretionen, paparazzihaftes Bloßstellen der Privat­sphäre und Verletzung der Menschen­würde; skandalöses Aufbauschen um der Einschaltquoten oder Auflagenanteile willen, Manipulation von Worten und Bildern. Demgegenüber soll – mit der hohen Verantwortung, die durch die Presse- und Medienfreiheit gegeben ist, durch exaktes Recherchieren umfassend und richtig informiert werden und Hilfe für einen eigenständig verantworteten Meinungs- und Urteilsbildungsprozess gegeben werden für „mündige Bürger“. Es geht um den Wert der zuverlässigen Information.

Das 8. Gebot gibt also Weisungen in die Freiheit für eine von Werten wie Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit getragenen und bestimmten Gesellschaft – also auch für die Verantwortlichen in Gemeinden und Kirchen.“[12]

„Die Güte Gottes gibt uns Kraft, über uns selbst nachzudenken. Wo rede oder schreibe ich selbst gedankenlos über andere, in ihrer Abwesenheit, so dass sie sich nicht wehren können? Gottes Güte öffnet auch die Augen für das, was falsch läuft im Zusammenleben. „Wer gezielt Falschbotschaften in die Welt setzt und durch digitale Kommunikation Gift verbreitet und damit systematisch das achte Gebot verletzt („Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“), dessen Handeln verdient keinen Langmut, sondern die klare Gegenwehr von Staat und Zivil­gesellschaft“.[13]

Stellt sich abschließend die Frage: „Warum zehn Gebote und nicht sieben oder zwölf? Das sind doch die heiligen Zahlen in der Bibel.“ Ganz einfach: Zehn Gebote kann man gut an den zehn Fingern abzählen und sich so besser einprägen. … Und dazu will Gott uns stärken, an jedem neuen Tag.

Amen.

„Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort. Sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort. Nirgends als von dir allein kann ich recht bewahret sein. Amen.“[14]

Die Zehn Gebote

  1. Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
  2. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.
  3. Du sollst den Feiertag heiligen.
  4. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.
  5. Du sollst nicht töten.
  6. Du sollst nicht ehebrechen.
  7. Du sollst nicht stehlen.
  8. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
  9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.
  10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was dein Nächster hat.

Gehalten am Sonntag Quasiomodogeniti, 16. April 2023 in Vöhringen und Illerissen.


[1] Rieke C. Harmsen, Chefredakteurin Online, Sonntagsblatt, Evangelische Wochenzeitung für Bayern, | Digitalisierung, Ethik, Kultur, Geschichte, Kirche, Soziales, NGO, 16. Juni 2020.

[2] Lesegottesdienst Jahrgang 2006/2007 Predigtreihe V / Nr. 59, 7. Oktober 2007 – 18. Sonntag nach Trinitatis Predigt von Verfasser: Pfarrer Heinz Winkler Johannes-Dannheimer-Str. 2, 85391 Allershausen.

[3] Reflexion zum 8. Gebot von Michael Plathow.

[4] Martin Luther, Eine einfältige Weise zu beten für einen guten Freund (1535).

[5] Albrecht Peters, Kommentar zu Luthers Katechismus, Bd. I, Göttingen 1990, 282.

[6] Tilmann Haberer, Über den Nutzen der zehn Gebote für unser Leben heute, Sonntagsblatt, 25. Oktober 2019.

[7] Tilmann Haberer.

[8] Matthias Köckert, Die Zehn Gebote, München: C.H. Beck, 2007, S. 81f.

[9] Helmut Frank, Chefredakteur Sonntagsblatt, Evangelische Wochenzeitung für Bayern, 29. Januar 2012

[10] Michael Plathow.

[11] Helmut Frank.

[12] Prof. Dr. Michael Plathow, Franz-Kafka-Str.15 69221 Dossenheim, Predigten und Texte zum Dekalog, April 2002.

[13] Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, vormals Ratsvorsitzender der EKD.

[14] EG 445,5 (Heinrich Albert).

Veröffentlicht in Allgemein.