Grundsteinlegung zur evangelischen Kirche in Vöhringen am 8. Oktober 1933

Nachdem am 8. Oktober 1933 die feierliche Grundsteinlegung der Martin-Luther-Kirche stattgefunden hatte, erschien am folgenden Tag im Iller-Roth-Günz-Bote ein ausführlicher Bericht:

Grundsteinlegung zur evangelischen Kirche in Vöhringen

* Vöhringen. 9. Okt. Nur Wochen sind verstrichen, seit eine Tochtergemeinde der evangeli­schen Pfarrei Illertissen das hohe Fest einer Kirchenweihe feierlich begangen hat[1], und schon hat nun gestern Glaubensmut und Opferwille ein zweites Kirchenwerk beginnen lassen. Die evangelische Gemeinde Vöhringen beging gestern in Freude und froher Dankbarkeit den Tag der Grundsteinlegung ihres Kirchenbaues. Die ganze politische Gemeinde nahm an der Feier innigen Anteil. Vor allen Häusern wehte Fahnenschmuck und in den Mittagsstunden eilten die Glaubensgenossen aus der ganzen Umgebung herbei, aus Illertissen und Altenstadt, aus Sen­den-Ay und aus Neu-Ulm und die Geistlichkeit der benachbarten Pfarreien aus dem Kirchen­bezirk Laupheim[2] hatte sich ebenfalls in großer Zahl eingefunden. Zu aller Freude und Ehre war Herr Kreisdekan und Oberkirchenrat D. Baum-München persönlich zur Grundstein­legung erschienen.

Der eigentlichen Grundsteinlegung ging ein Gottesdienst im Speisesaal der Wieland-Werke voraus, in dessen Mittelpunkt die herrliche Predigt von Herrn Pfarrer Dr. Giegler stand. Bis aufs letzte Plätzchen hatte sich der weite Raum gefüllt, Gebet und Gesang leitete die Andacht ein. Dann nahm H. Pfarrer Dr. Giegler das Wort: „Bis hieher hat der Herr geholfen.“[3] Diesen Satz nahm er als Thema seiner Predigt, in der er dem Sinne nach ausführte: Es ist ein Tag der tiefen Freude, den Gott der Herr uns heute erleben läßt. Draußen vor dem Orte, auf dem Kir­chenbauplatz, der so lange stille lag, haben sich vor 3 Wochen fleißige Arbeitshände zu regen begonnen, und schon wachsen die Fundamente aus der Erde. Im Schmuck der Fahnen und grünen Tannenkränze prangt er heute. Aber die Gedanken vieler gehen schon weiter, sie sehen die Mauern wachsen und das Dach sich wölben und sie sehen jubelnd die Gemeinde einziehen in ihr neues Gotteshaus. So wenig wir diesen zukunftsfrohen Gedanken wehren wollen, so haben wir in dieser Stunde doch das Bedürfnis zurückzublicken auf das Werden der Gemein­de, auf ihr inneres Leben, auf das Planen und Arbeiten der letzten Zeit. Nicht um Menschen damit Lob zu sprechen, sondern um dem die Ehre zu geben, von dem wir sagen dürfen, bis hierher hat der Herr geholfen. Es war nur ein kleines Häuflein Glaubensgenossen, die sich vor 80 Jahren in Vöhringen niedergelassen haben. Die Abendmahlsbücher von Holzschwang wiesen nur ein paar Vöhringer Namen auf. Auch als dann in Illertissen die Möglichkeit zum Gottesdienstbesuch gegeben war, kamen nur wenige Vöhringer. Mit der Errichtung der Wie­landwerke aber wuchs die Gemeinde stark und es wurde der Wunsch nach eigenen Kirchen­stunden laut. Vor 35 Jahren an einem Sonntagabend hielt ein Hilfsgeistlicher von Neu-Ulm die erste Bibelstunde im alten Speisesaal der Wielandwerke. Bibelstunden und Gottesdienste wurden häufiger, ein eigener Religionsunterricht wurde eingeführt, von Illertis­sen aus war eine bessere gottesdienstliche Versorgung möglich. Vor einigen Jahren dann wurde Vöhrin­gen eine eigene Tochtergemeinde. Wie leuchtet aus all dem Geschehen die Treue Gottes auf, der denen die Freudigkeit gab, den Glaubensgenossen in diesen Räumen eine Heimat zu bie­ten. Wenn wir an das kleine Pflänzlein von einst denken, aus dem jetzt ein starker Baum geworden, dann müssen wir dankbar bezeugen: „Bis hierher hat uns der Herr geholfen.“ Herr Pfarrer Dr. Giegler sprach dann in einprägsamen Worten von der inneren Entwicklung der Gemeinde. Es war oft ein schweres Ringen um die Gemeinde. Wenn auch Jahre der Dürre es gab, so hatten sie doch auch ihren Segen. Heute lebt hier eine Gemeinde, die aus Verlangen nach Gott hierher kommt. Über das innere Leben der Gemeinde sei ebenfalls das Wort ge­schrieben: „Bis hierher hat uns der Herr geholfen.“ Zu tiefem Danke ist die Gemeinde dafür verpflichtet, daß ihr dieser Raum zur Verfügung gestellt wurde und sie bitte, daß sie ihn auch weiter benutzen dürfe. Aber es ist nur eine Herberge und keine Heimat. Deshalb wurde schon früh der Wunsch rege, eine eigene Kirche zu besitzen. Vor dem Kriege bereits war eine statt­liche Summe gesammelt, aber die Inflation hat sie vernichtet. Dann brach die alte Sehnsucht wieder durch und die Arbeit begann von neuem. Schon war man dem Ziele nahe, da kamen die vier letzten schweren Jahre und der Plan schien in weite Ferne gerückt. Aber Gott der Herr half ein Hindernis nach dem andern zu überwinden und gab uns die Gnade großer Opferbe­reitschaft. Wieder steht über dem Geschaffenen das Wort: „Bis hierher hat uns der Herr gehol­fen“ und es soll weiter leuchten über unserer Arbeit, wenn wir sein Haus erbauen. Laßt uns zuversichtlich auf seine weitere Hilfe hoffen, und daß er uns bald die Gnade gebe ihn in sei­nem Hause anbeten zu dürfen. Die Predigt schloß mit der Bitte: „Der Herr sei uns freund­lich und fördere das Werk unserer Hände, ja das Werk unserer Hände wolle er fördern!“[4]

Nach Beendigung des Gottesdienstes formierte sich ein Festzug. Voraus ging eine Abteilung der Musikvereinigung Illertissen, die der Feier des Tages, unter Leitung von Herrn Kimpel, angepasste Choräle spielte; es folgte die Geistlichkeit mit H. Oberkirchenrat Baum und Dekan Sittig, Oberamtmann Endres-Illertissen, der Gemeinderat mit den beiden Bürgermeistern Knaur und Neher. Benefiziat Glogger als Vertreter der kath. Geistlichkeit, Dr. Philipp Wie­land für die Wielandwerke, Vertreter der Lehrerschaft, Kinder mit der Kassette, die in den Grundstein kommt und mit dem Handwerkszeug des Maurerhandwerks, die Kirchenver­wal­tung von Vöhringen, Illertissen und Altenstadt, Schuljugend, eine große Menge Frauen und Männer und auswärtige christliche Mädchenvereinigungen. Es war ein überaus stattlicher, gewaltiger Zug, der sich nun zum Platze des Kirchenneubaues begab.

An der Memmingerstraße ersteht die neue Kirche. Schon aus den Fundamenten und den emporwachsenden Mauern sieht man, daß ein stattlicher Bau erstellen wird. Die Fahnen des Dritten Reiches und die Kirchenfahne grüßen hoch von ihren Masten. Tannengrün umwand die Mauern und so begann dann die Feier der Grundsteinlegung.

Viele Hunderte Menschen umsäumten den Platz an diesem fast Julischwülen Nachmittag und harrten der feierlichen Handlung. Am Ostende des Baues war ein Altar errichtet, zu dem Oberkirchenrat Baum emporstieg. Zu beiden Seiten des Altars hatten H. Dekan Sittig-Neu-Ulm und H. Pfarrer Dr. Giegler Ausstellung genommen, den Chor flankierte rechts und links die Geistlichkeit. Die Musik intonierte ein Lied aus dem Gesangbuch.

Dann begann Herr Oberkirchenrat Baum als Vertreter des Landeskirchenrates mit seiner Ansprache, die in ihrer Klarheit und Innigkeit alle Gläubigen fesselte. Er legte ihr das Wort. „Aus dem Stein. den ich hier aufgerichtet habe zu einem Mal, soll ein Gotteshaus werden!“[5] zugrunde. Aus längst vergangenen Zeiten erzählt dieses Wort von einer Grundsteinlegung ganz seltsamer Art. In der Einsamkeit, geängstigt im Herzen, hat ein Mann erlebt, daß ihm Gott begegnete. Aus der Erfahrung dieser Gottbegegnung kommt die Sehnsucht nach der Anbetung und der Gemeinschaft im Glauben. Die Gemeinde hält heute Grundsteinlegung. Was tagt der Grundstein? Er weist zurück in die Vergangenheit, die euer Pfarrer eben geschildert, der wacker und tapfer sich mit der Gemeinde um den Bau gemüht hat. Die Ver­gangenheit hat gezeigt, wie eine kleine Diasporagemeinde wachsen muß. Die Gemeinde hat eine schöne Herberge für den Gottesdienst und ich als Kreisdekan kenne schlimmere Verhält­nisse. Namens der Kirche danke ich denen, die sie zur Verfügung gestellt. Aber es ganz natürlich, daß die Gemeinde das Verlangen hat nach einer Stätte, die ihr ganz gehört und die zu nichts anderem dient, als Gott anzubeten. Der Grundstein erinnert auch an die Arbeit. Wenn er gelegt wird, dann ist viel unsichtbare Arbeit vorausgegangen, die Mühe, Sorge und Enttäuschung in sich schloß. Er erinnert auch an Hilfe, die bereit war, Zeit und Gaben zu opfern. Die Kirche hat die Bitten der Gemeinde erhört und auf die Hilfe des Gustav-Adolf-Vereins hat sie nicht umsonst gewartet. Der Prediger weiß einen Grundstein, auf den drei große „G“ geschrieben sind, das heißt: „Gott gab Gnade“. Etwas von diesem Bekenntnis empfinden wir in dieser Stunde. Der Gott, der manchmal Nein sagt, wenn wir ein Ja erwarten, dann aber auch sein Ja gibt, wenn seine Stunde gekommen ist, öffnet oft Wege, die verschlos­sen schienen. Herr Oberkirchenrat Baum gab dann klare Antwort auf die Frage: „Warum bau­en wir Kirchen?“ Nicht weil es ein Sport der Kirche ist, sondern aus der Gottbegegnung und dem Gotterleben heraus verlangen wir nach einer Kirche. Weil die Menschen etwas erle­ben, was der Herr in den Gottesdiensten und im Evangelium ihnen gibt, darum bringen sie diese Opfer für die Kirche. Gerade unsere Zeit hat Gotteswort und Gottesruf nötig und deshalb auch die Kirchen. Mit dem Dasein einer Kirche gibt sie den Ruf in die Welt hinein: „Die Herzen in die Höhe.“ Wir sind am Bauen in unserem Vaterland. Viele meinen, das muß schnell gesche­hen. Sie dürfen nicht vergessen, daß dabei auch die Seele stille werden muß in Gott, dann erst sind wir Gebende und Schaffende, wenn wir von Gott das nehmen, was er uns im Evangelium schenkt. Denn Christentum muß mehr sein als ein Programmpunkt im Leben. Herr Oberkir­chenrat Baum schloß dann: Ein paar Stunden noch und die Arbeiten werden wieder an diesem Platz beginnen und neue Sorgen kommen damit. Eine Sorge aber vergeht nicht. Der schönste Schmuck eueres Gotteshauses wird eine Gemeinde sein, bei der Herz und Heim ein Stück Gotteshaus sind. Das „Gott gab Gnade“ wandelt sich jetzt zur Bitte „Gott gib Gnade“, daß dies Werk vollendet werden kann; daß in der Zeit des Baues die Herzen an sich bauen lassen nach dem ewigen, großen Maßstab des hl. Evangeliums Jesu Christi. Nach dem Glaubensbe­kenntnis folgte der Gemeindegesang:

Die Geistlichkeit und Ehrengäste begaben sich nun an die Südwestecke des Baues, wo der Grundstein sich befindet, um den Akt der Grundsteinle­gung vorzunehmen. Herr Pfarrer Dr. Giegler verlas feierlich die Urkunde, die die Geschichte der evangelischen Gemeinde Vöhrin­gen enthält, die regierenden Persönlichkeiten des Rei­ches, Bayerns und der Reichs- und Landeskirche nennt, die Kirchenvorstände angibt, alle Namen derer ausführt, die Hammer­schläge auf den Grundstein ausführen, die namhaftesten Spenden erwähnt usw. Die Urkunde wurde mit den Blauplänen, einer Bibel, Tageszeitungen, kirchlichen Zeitungen, Münzen unserer Zeit und einer Kassette mit Fabrikationsmustern der Wielandwerke in eine Stahlkas­sette verschlossen und diese in den Grundstein gelegt. Herr Maurermeister Sirch mit seinem Gehilfen Maurerpolier Kast-Illerberg mauerte dann, in feierliches schwarz und weißer Schür­ze gekleidet, den Grundstein zu. Währenddessen sangen die vereinigten Kirchenchöre Iller­tissen und Vöhringen unter Leitung von Herrn Kimpel-Illertissen sehr stimmungsvoll ein Lied. Nun wurden von folgenden Herren die drei feierli­chen Hammerschläge unter Glück und Segenswünschen für die evangelische Gemeinde Vöhringen und den .Kirchenbau vollzogen: von Oberkirchenrat Kreisdekan Baum für die Landeskirche, von Dekan Sittig-Neu-Ulm für den Kirchenbezirk Laupheim, von Pfarrer Dr. Giegler für die Pfarrei Illertissen, von Oberamt­mann Endres für das Bezirksamt, von Bürgermeister Knaur für die politische Gemeinde, von Dr. Philipp Wieland für die Wielandwerke AG., von Neher für die evangelische Gemeinde Illertissen. von Kaufmann Gößler-Illertissen für die Muttergemeinde Illertissen. von Nanz für die evangelische Gemeinde Illereichen-Altenstadt, von Architekt Motz-Stuttgart und Maurer­meister Sirch. Damit war der Festakt der Grundsteinlegung beendet. Die religiöse Feier be­schloß Gebet und Segen durch Herrn Oberkirchenrat Baum und der Gemeindegesang „Nun danket alle Gott“.

Eine eindrucksvolle, vom tiefsten Geist lebendigen Glaubens erfüllte Feier hat Vöhringen erlebt. Aus ihr wird Kraft und Stärke auferstehen, die Kirche zu vollenden. Aber schon heute sei auch an dieser Stelle der Dank denen bekundet, die unter persönlichen Opfern an Zeit und Mühe, mit nie versagendem Mut das Werk beginnen und vollenden halfen. Dank also in erster Linie Herrn Pfarrer Giegler. der keine Arbeitslast scheut und sich dem Kirchenbau mit allen seinen Kräften widmet. Mit ihm dann die Herren der Kirchenverwaltung Neher, Idler. Wie­land Ludwig, Frech David, Ing. Huber, Ing. Neureuther, Botzenhardt und Birzele. Dank auch der politischen Gemeinde und den Wieland-Werken, die namhafte Summen spendeten. Und Dank nicht zuletzt der gesamten Einwohnerschaft, die ohne Unterschied der Konfession sich in so überaus großer an der Feier der Grundsteinlegung beteiligt hat und ihre freudige Anteil­nahme durch Schmuck und Beflaggung der Häuser zum Ausdruck brachte.

Auch wir möchten die evangelische Gemeinde zur Grundsteinlegung beglückwünschen in der Hoffnung, daß auch auf der Vollendung des Baues Gottes reichster Legen liegen möge!

Quelle: Iller-Roth-Günz-Bote, Montag, 9. Oktober 1933.

[1] Die evangelische Versöhnungskirche in Altenstadt wurde am 19. September 1933 eingeweiht.

[2] Gemeint ist Leipheim, der ursprüngliche Sitz des heutigen Dekanats Neu-Ulm.

[3] 1Samuel 7,12.

[4] Psalm 90,17.

[5] 1Mose 28,12.

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